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Veronika Nutz

Wenn von „Bahnhofsnähe“ die Rede ist, muss man das normalerweise mit Vorsicht genießen. Im Falle der Ferienwohnungen allerdings, die Veronika Nutz in Wienerbruck vermietet, wäre Bahnhofsnähe noch untertrieben: Sie befinden sich direkt im Gebäude des Bahnhofs Wienerbruck-Josefsberg. Veronika hat den 110 Jahre alten Bahnhof an der Mariazeller Bahn gekauft und darin zwei liebevoll gestaltete Apartments eingerichtet.

Als Projektmanagerin entwickelt Veronika für ihre Auftraggeber ständig Ideen. Mit dem Projekt „Urlaub am Bahnhof“ wollte sie einmal ihr ganz eigenes Ding durchziehen. Und als 2014 die Bahnhofsgebäude der Mariazeller Bahn – seit der Modernisierung der Bahn werden sie nicht mehr benötigt – zum Verkauf ausgeschrieben wurden, schlug sie zu. Das Gebäude war allerdings in einem ziemlich katastrophalen Zustand, die Sanierungsarbeiten gestalteten sich entsprechend aufwendig. Gut, dass Veronika mit einem Malermeister und Bodenleger verheiratet ist, der viele Arbeiten selbst ausführen konnte.

Der Bahnhof ist sehr günstig gelegen. Direkt gegenüber, auf der anderen Seite der Gleise, befinden sich der Stausee Wienerbruck, in dem man baden kann, und das Naturparkzentrum Ötscher-Basis. In dem Holz-Glas-Pavillon gibt es das „Seegasthaus“ mit Terrasse, man kann Eintrittskarten für den Naturpark erwerben oder Führungen buchen. Die Ötscher-Basis ist nämlich der Einstieg in den Naturpark Ötscher Tormäuer. Von hier aus erwandert man sich die wildromantischen Ötschergräben: Verschiedene Routen oder Rundwege führen durch pittoreske Waldschluchten, vorbei an imposanten Wasserfällen oder entlang des malerischen, im Sommer erfrischend kühlen Ötscherbachs. Wenn man es richtig angeht, kann man hier stundenlang wandern, ohne extreme Steigungen absolvieren zu müssen. Es ist auch nicht notwendig dahin zurückzugehen, wo man aufgebrochen ist, sondern man kann bis zur nächsten oder übernächsten Station der Mariazeller Bahn wandern und dann den Zug zurück nach Wienerbruck nehmen. Die Fahrt dauert nur wenige Minuten und führt durch den alpinsten, landschaftlich reizvollsten Streckenabschnitt der Bahnlinie.

Den Naturpark gibt es seit den 1970er-Jahren, als eine Bürgerinitiative hier den Bau eines zweiten Wasserkraftwerks verhindert hat. Das alte Kraftwerk wurde vor mehr als 100 Jahren errichtet, der Wanderweg durch die Ötschergräben führt direkt daran vorbei. Es ist noch in Betrieb, die Turbinenhalle kann besichtigt werden. Das Naturparkzentrum Ötscher-Basis wurde erst 2015 eröffnet, anlässlich der niederösterreichischen Landesausstellung „Ötscher:Reich“ – wobei Veronika auch dabei eine wichtige Rolle spielte. Gemeinsam mit ihrer Tante Petra Zeh, der Bürgermeisterin von Annaberg, hatte sie für die Landesausstellung ein Konzept eingereicht, das den Naturpark in den Fokus stellte; statt, wie üblich, nur ein Gebäude zu renovieren und dort eine Ausstellung einzurichten, sollte die Natur selbst ausgestellt werden. Das Konzept war den Verantwortlichen zwar etwas zu radikal, ganz ohne Schloss ging schließlich auch die Landesausstellung 2015 nicht über die Bühne. Aber das Naturparkzentrum Ötscher-Basis wurde – als einer von drei Schauplätzen der Ausstellung – gebaut. Und pünktlich zur Eröffnung waren auch die Zimmer am Bahnhof bezugsfertig.

Die 39-jährige Veronika Nutz stammt aus der berühmten Familie Sykora. Ihre Großmutter ist die ältere Schwester der Leichtathletik-Europameisterin Maria Sykora (800-Meter-Lauf) und der 2006 verstorbenen Innenministerin Liese Prokop, auch mit dem zweifachen Slalomweltcup-Sieger Thomas Sykora ist sie verwandt. In den 1960er-Jahren haben die Prokops in Annaberg die Skischule aufgebaut, Veronika war dort viel später auch als Skilehrerin im Einsatz. Dabei lernte sie ihren späteren Mann Jürgen kennen, der damals noch von einer Karriere als Skirennläufer träumte.

Inzwischen haben die beiden eine Familie (drei Kinder) gegründet und einen Malereibetrieb (15 Mitarbeiter) aufgebaut. Außerdem betreiben sie mit einem Cousin im Burgenland noch Obstbau; der Apfelsaft, der in den Bahnhofs-Apartments auf dem Tisch steht, stammt aus eigener Erzeugung.

Neben der Büroarbeit im Betrieb ihres Mannes und der Kinderbetreuung findet Veronika Nutz erstaunlicherweise noch Zeit für ihre eigene Firma (Nutz Management) und die Zimmervermietung am Bahnhof. Ach ja: Das Seegasthaus im Naturparkzentrum hat sie, zusammen mit ihrer Tante, im Frühjahr 2018 auch noch übernommen. „Die vorige Pächterin ist leider in Konkurs gegangen, ich habe bei der Suche nach einem Nachfolger geholfen, aber niemanden gefunden. Also haben wir uns halt ins kalte Wasser gestürzt. Schon deshalb, damit ich meine Gäste rüberschicken kann.“

Ohne Seegasthaus gäbe es in Wienerbruck nämlich gar keine Gastronomie mehr. Der Ort, der zur Gemeinde Annaberg gehört, hat touristisch schon bessere Zeiten gesehen. Die prachtvolle Pension „Ötscherblick“ etwa steht seit langem leer und bröckelt morbid-romantisch vor sich hin. Auch auf dieses Objekt hat Veronika schon ein Auge geworfen, sie zögert aber noch. Schon die Investition in den Bahnhof war wirtschaftlich eher unvernünftig. „Natürlich kann man leichter sein Geld verdienen“, sagt sie. „Wenn ich das Geld in eine Eigentumswohnung in Wien gesteckt hätte, wäre es wahrscheinlich einfacher. Aber das hier macht mehr Spaß, und man hat etwas Bleibendes geschaffen.“

Nach ihrem Betriebswirtschaftsstudium führte Veronika eine Zeitlang ein richtiges Jetset-Leben. Unter anderem war sie bei DO & CO als Assistentin der Geschäftsführung für den Bereich Airline-Catering zuständig. Damals fuhr sie meist am Montag in der Früh direkt zum Flughafen und kam erst am Freitagabend zurück nach Annaberg. Irgendwann war das mit dem Familienleben nicht mehr zu vereinbaren, und sie beschloss, sich daheim zu engagieren – und zwar auch aus ganz eigennützigen Motiven. „Ich möchte, dass meine Kinder hier einen Kindergarten und eine Schule besuchen können, dass es ein Geschäft gibt, wo sie einkaufen können, und dass sie später einmal einen Job finden. Vielleicht bin ich zu blauäugig, aber momentan stecke ich meine ganze Energie da rein. Ich möchte einen Beitrag leisten.“

Ihre Wohnungen am Bahnhof sind gut ausgelastet, das Projekt scheint aufzugehen. „Immer mehr Leute aus Wien haben gar kein Auto mehr“, weiß Veronika. „Immer mehr machen wieder Sommerfrische.“ Im Garten spendet ein Kastanienbaum Schatten, vor jeder Ferienwohnung steht ein Griller bereit, auf Wunsch wird morgens ein Frühstückskorb vor die Tür geliefert. Man muss kein Eisenbahnromantiker sein, um es hier bezaubernd zu finden. Einmal allerdings kam ein Gast in Wienerbruck an, der das Label „Urlaub am Bahnhof“ offenbar nicht ganz ernst genommen hatte. „Das ist ja wirklich ein Bahnhof!“, stellte der Mann entsetzt fest und wollte gleich wieder abreisen. Er ist dann doch geblieben, und das war sicher die richtige Entscheidung.