Bin am Berg Logo

Andreas Seiser

Andreas Seiser steht in einer neongelben Skihose neben dem Tellerlift und winkt wild mit den Armen.

„Ich bin gerade beim Abschlussrennen für die Skischulkinder“, hatte er am Telefon erklärt, also haben wir kurzerhand eine Liftkarte gelöst und sind mit Straßenschuhen in den Skilift gestiegen. Rauf auf die Schwaig, wo sich das familiäre Skigebiet von Mönichkirchen befindet. Unsere Schritte knirschen, als wir über die Piste hasten, um den wenigen Skifahrern auszuweichen, und Andreas Seiser rammt zur Begrüßung seine Ski in den Schnee.

„Hallo, Herr Seiser!“, sagen wir, aber der Herr Seiser sagt: „Am Berg gibt’s kein Sie, wir sind hier auf über tausend Meter.“ Ab sofort ist er für uns der Seiser Andi.

„Sag mir den Namen von einem Kind, das fahren möchte und bereit ist“, sagt der Seiser Andi im Zielauslauf in sein Funkgerät, denn er ist ja hier, um ein Skirennen abzuhalten. „Ja, okay, ich sage“, antwortet die Stimme von Skilehrer Viktor, der am Start steht. Man hört, wie er auf Ungarisch mit einem Kind spricht. „Erstmal Nummer 9, Bence“, sagt Viktor dann.

„Ich rufe Bence. Achtung, fertig, los!“, plärrt Andi ins Gerät.

„Gyorsan, gyorsan, gyorsan!“, ruft Viktor, und Bence rutscht den Berg hinunter.

Dieses Jahr war nicht so gut für Andi Seiser, den Skischulbesitzer, denn nach dem ersten Schnee Ende November haben Regen, Föhn und Wärme fast alles Weiß weggefegt und -geschmolzen. „Ich habe für den Übungsplatz im Tal mit der Scheibtruhe den noch verbleibenden Schee hergeholt“, erzählt Seiser. Auch beim Abschlussrennen heute ist es eine verhältnismäßig kleine Gruppe, deshalb darf jedes Kind zwei Mal fahren.

Aber auch das dauert nicht allzu lange. Andi Seiser packt die Stoppuhr ein, schnallt die Ski an und fährt ins Tal. Wir lassen am Lift die Füße baumeln und blicken hinunter auf eine Landschaft, in der das Grün dominiert.

Die Skischule Seiser liegt bei der Talstation des alten Sessellifts, etwas unterhalb der neuen Anlage. Wir stapfen über den riesigen Parkplatz – und schon stehen wir im Garten von Andi, der auch als Übungshang fungiert. Hier lernen die Kinder, mit den Skiern einen Pflug zu formen, Bogen zu fahren und vor allem, wieder aufzustehen, nachdem sie hingefallen sind.

In der Stube des zugehörigen Holzhauses sitzt Andi Seiser und mampft Bärlijause. So nennt er die Kekse, die die Skikurs-Kinder mittags bekommen. Heute haben sie was übrig gelassen.

Wenn man Andi Seiser bittet, über sich zu erzählen, erzählt er über das Skigebiet, für ihn lässt sich das nicht trennen. Seine Eltern haben die Skischule im Jahr 1951 gegründet, kurz nach dem Krieg, Andi war damals sechs Jahre alt. Der Vater ist selbstständiger Künstler, im Sommer malt und fotografiert er, im Winter bringt er der Oberschicht aus Wien das Skifahren bei. Sein staatlicher Skilehrerpass trägt die Nummer zehn. In der Nachkriegszeit erlebt Mönichkirchen eine Hochblüte, man fährt nicht weit weg auf Urlaub, davon profitiert der Ort. Mondäne Hotels prägen das Ortsbild, der Sessellift mit Einzelsitzen ist eine Attraktion. Untertags fährt man Ski, abends tanzt man. Andis Vater veranstaltet Bälle und Heurigenabende. Wenn es im Winter zu warm wird, betet Andi Seiser: „Lieber Gott, bitte lass es schneien!“

Während der Schulzeit fährt Andi Seiser Skirennen, platziert sich bei den niederösterreichischen Landesmeisterschaften in den obersten Rängen, misst sich in landesweiten Wettkämpfen an Karl Schranz. „Wobei, von Messen war kein Rede. Du bist zwar niederösterreichischer Landesmeister, aber gegen zehn Tiroler und fünf Kärntner hast du keine Chance“, erinnert er sich lachend. „Aber wir waren stolz, mit diesen Leuten durch die selben Slalomstangen zu fahren.“

„Wir brauchen dich hier“, sagen die Eltern Anfang der Siebzigerjahre. Da ist Seiser gerade Landestrainer in der Skilandesschule Waidhofen geworden. Er kehrt nach Mönichkirchen zurück und übernimmt 1975 die Skischule. Im Ort merkt man, dass die Zeit vergangen ist, die Hotels sperren langsam zu, der Urlauber aus Wien fährt schon eher auf den Radstädter Tauernpass als nach Mönichkirchen. Seisers Mutter hat sich als Skilehrerin auf den Unterricht für Kinder spezialisiert, und der Sohn setzt diese Tradition fort.

„Das mit den Kindern hat sich herumgesprochen. Viele Eltern haben in Mönichkirchen Skifahren gelernt und wollten dann, dass ihre Kinder es auch dort lernen. Das war mein Geschäft“, erzählt Andi Seiser. Mit vier Jahren fangen viele Kinder hier an, das ist der Bärlikurs, dessen Jause jetzt am Tisch steht. Um nicht gemeinsam mit der Hotellerie unterzugehen, investiert Seiser in seine Skischule. Er installiert einen Zauberteppich – das sind diese Förderbandlifte, auf die man sich einfach draufstellt – und einen Seillift. Als irgendwann der schon sehr alte Einser-Sessellift den Geist aufgibt, gründet er gemeinsam mit ein paar anderen eine Gesellschaft, um einen neuen Lift bauen zu lassen.

Heute fährt ein moderner Vierer-Sessellift den Berg hinauf, aber der Ort hat sich stark verändert. Am Wochenende stehen die Menschen in Schlangen vor dem Lift an, unter der Woche sind die Pisten fast leer. Hierher kommt man nicht mehr auf Urlaub, man macht einen Ausflug. Die ruhmreichen Hotels der Nachkriegszeit mussten schließen, nur zwei gibt es noch. „Das ist traurig, keine Frage“, sagt Andi Seiser. Er ist Mitglied im Dorferneuerungsverein, man versucht, wenigstens die Schule hier zu behalten. Die Post und die Polizei wurden schon geschlossen, ein Arzt kommt zwei Mal die Woche ins Dorf. Die meisten Einwohner pendeln zum Arbeiten in umliegende Städte.

Es ist Andis Sohn Christof, der dem Stadtbild wieder ein anderes Gesicht gibt. Wie sein Großvater ist er Künstler, schafft meterhohe Holzfiguren und hat einen „Jenseitspark“ mit steinernen Skulpturen angelegt. Im Büro der Skischule hat er Bilder aufgehängt, die die Skispuren von Hermann Maier tragen oder den Abdruck von Reinhold Messners Schuhen.

Wenn man solche Initiativen unterstützt und es auch schafft, dass junge Familien hierbleiben, ist die Zukunft eine rosige, meint Andi Seiser. Wenn er selbst einmal zu alt ist, um den Kindern das Bogerlfahren beizubringen, wird seine Tochter die Skischule übernehmen. Noch steht er aber selbst sieben Tage die Woche im Schnee. „Wenn du nur die Zahlen siehst, kannst du das nicht machen. Es ist eine Leidenschaft, Herz und Liebe müssen dabei sein“, sagt der Seiser Andi. Dann springt er auf. In seinem Garten warten schon die nächsten Kinder darauf, immer wieder aufzustehen zu üben.