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Kilian, Jana und Lisa Isak

Mountainbiker sind natürliche Feinde von Förstern und Waldbesitzern – und umgekehrt natürlich. Die einen verstehen nicht, was daran falsch sein soll, mit dem Rad durch den Wald zu rasen. Die anderen befürchten, dass die Radler Hirsch und Reh vertreiben könnten, oder sie wollen ganz einfach nicht, dass ihr Grund als Sportplatz benutzt wird. Die Fronten sind da oft verhärtet, beide Seiten beharren auf ihren Rechten. Die Folge: Der Ärger nimmt kein Ende.

In St. Corona am Wechsel hat man für das Problem eine Lösung gefunden: die „Wexl Trails“, eine Art Reservat für Mountainbiker. In langen und – wie man sich vorstellen kann – nicht immer ganz einfachen Gesprächen mit Grundbesitzern, Förstern und anderen Beteiligten hat man sich darauf geeinigt, bestimmte Strecken für Mountainbiker freizugeben. Inzwischen ist es teilweise sogar schon so weit, dass die Grundbesitzer von sich aus Trassen für mögliche Trails vorschlagen – um so sicherzustellen, dass andere Areale bikerfrei bleiben. Jetzt sind alle zufrieden: Die Grundbesitzer bekommen eine Pacht, und die Mountainbiker können ungestört ihrem Lieblingssport nachgehen. Einschränkung: Legal ist das Mountainbiken nur auf den gekennzeichneten Strecken und mit einem gültigen Ticket (9 Euro bzw. 6 Euro für Kinder bis 16 Jahren).

Basislager ist der „Corona Park“ mit der Kassa, dem Radverleih, dem Restaurant „Wechsel Lounge“ und dem Mini-Bikepark, wo Kinder ab drei Jahrenerste Versuche auf dem Mountainbike unternehmen und lernen können, sogenannte „Anliegerkurven“ (steile Kurven, in die man sich hieninlegen muss) zu fahren. Auch einen „Pumptrail“ gibt es, in dem man nicht treten darf, sich nur durch „Pumpen“ im Kurs halten muss. So lernen die Kinder spielerisch, wie sie das Gewicht verlagern müssen, um in Kurven guten Grip zu haben

„Das ist der einzige Bikepark, wo du mit der Familie hinfahren kannst“, sagt die 35-jährige Lisa Isak. Die Physiotherapeutin ist mit dem siebenjährigen Kilian und der vierjährigen Jana ungefähr zwei Mal die Woche da. „Eigentlich ist das unser Zweitwohnsitz.“ Die Familie Isak wohnt in der Nähe von Mattersburg, 45 Minuten sind es nach St. Corona am Wechsel. „Aber wir haben einen Mercedes Sprinter, in dem man auch schlafen kann“, sagt Lisa. „Manchmal kommen wir halt erst am nächsten Tag heim.“

Wenn man Kilian fragt, was er einmal von Beruf werden will, sagt er nicht Pilot, Feuerwehrmann oder Fußballer. Er will Radfahrer werden, das steht fest. Schon mit zwei Jahren und drei Monaten ist er zum ersten Mal ohne Stützen gefahren. „Es hat zuerst ein bisschen komisch ausgeschaut, aber er ist gefahren“, erinnert sich die Mutter. Inzwischen bestreitet er auf dem Mountainbike bereits Youngstercup-Rennen, meistens ist er der jüngste Starter. „Aber ich war immer am Stockerl!“, sagt Kilian stolz. Auch sonst dreht sich in Kilians Leben so ziemlich alles ums Radfahren. Zu Fuß geht er höchst ungern, und damit er auch in der Schule nicht ganz radlos sein muss, hat er in der Hosentasche stets sein Playmobil-Rad dabei. Kilians Radleidenschaft kommt nicht von ungefähr, sie wurde ihm angeboren. Papa Christian war Profiradrennfahrer und betreibt heute das Radsportfachgeschäft Velodrom in Wiener Neustadt; auch Mama Lisa ist Straßenrennen gefahren.

„Wir haben ihm die Radsportgene weitergegeben“, sagt sie. „Manchmal fragen uns die Leute: Warum fährt der Kilian so gerne Rad? Weil es bei uns ganz normal ist.“ Früher ist Lisa Isak hauptsächlich auf der Straße gefahren, in letzter Zeit aber steigt auch sie immer öfter aufs Mountainbike. „Ich habe gemerkt, dass ich meine Technik verbessern muss, damit mir der Kleine nicht davonfährt.“

Die Isaks haben in St. Corona am Wechsel eine Jahreskarte, denn sie kommen auch im Winter hierher, zum Skifahren und Snowboarden. Überhaupt wird Wintersportlerinnen und -sportlern, denen die Gegend vertraut ist, auf den Wexl Trails vieles bekannt vorkommen. Der Mini-Bikepark ist im Winter das „Familienskiland“ für Kinder und Anfänger; die Streckenbauer, die im Bikepark die Trails anlegen, kümmern sich im Winter um die Pisten. Und ein Kind, das hier einen Mountainbike-Kurs besucht, wird in der Skischule auf bekannte Gesichter treffen: Viele Bike-Guides sind im Winter als Skilehrer engagiert.

Die höher gelegenen Trails für Fortgeschrittene (3,5 bzw. 2,7 km lang) führen teilweise durch das ehemalige Skigebiet von St. Corona am Wechsel, vorbei am Speicherteich und hinauf zur Almrauschhütte, gleich daneben war früher die Bergstation des Sessellifts. Und die langen „Panorama Trails“ zwischen Mönichkirchen, Mariensee und Feistritzsattel verlaufen in großen Teilen dort, wo im Winter die Wechsel-Panoramaloipe gespurt ist. Insgesamt können derzeit Trails in einer Länge von 63 Kilometern befahren werden, und es sollen noch mehr werden. Wer will, kann mit dem Mountainbike oder auf dem E-Bike etwa von St. Corona am Wechsel bis hinüber nach Mönichkirchen radeln; Leihräder können in beiden Orten retourniert werden, man muss also nicht zum Ausgangspunkt zurückfahren. Und für Biker, die sich den Aufstieg zu den Panorama Trails ersparen oder nur bergab fahren wollen, gibt es einen Shuttleservice, der Biker und Bikes mit dem Auto auf den Berg führt. Aber ist das nicht ein bisschen unsportlich? Nicht unbedingt. „Es ist wie der Unterschied zwischen Skitouren gehen und Ski fahren“, findet Lisa. „Gerade für Kinder kann es ein Anreiz sein, sich mehr zu bewegen.“

Für einen wie Kilian gilt das natürlich nicht. Anreize, sich zu bewegen, braucht er nicht. Fährt er lieber bergauf oder bergab? „Beides!“ Das Springen hat es ihm besonders angetan. Ist das eigentlich das Schwerste beim Biken? „Nein, das Leichteste!“ Wobei: Manchmal schießt Kilian dabei auch über das Ziel hinaus. Anlässlich seiner Erstkommunion war die Familie zur Feier des Tages – wo sonst? – im Bikepark, und Kilian fand, dass dieser besondere Anlass auch nach einem besonders waghalsigen Jump verlangte. Der Tag endete dann im Krankenhaus, in Kilians Gesicht musste eine Rissquetschwunde versorgt und genäht werden.

Seine Mutter reizt am Mountainbiken weniger das Abenteuer als, ganz im Gegenteil, die Ruhe. „Mountainbiken im Wald ist für mich Psychotherapie“, sagt Lisa Isak. „Da kann ich das Gehirn auslüften.“ Das klingt gut. Aber mit Kilian wird sie mit dieser Einstellung nicht mehr lange mithalten können.